Naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf dem Weg in die Klimapolitik

Vortrag am Symposium "Von der Wissenschaft in die Politik. IPCC, ProClim, HADES: 3-mal 30 Jahre Klima und Wasser im Fokus", Bern, 28.11.2018

Ich wurde eingeladen, die Auswirkungen der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse auf die Klimapolitik zu beleuchten.

Seit 2008 wird auf allen fossilen Brennstoffen eine CO2-Abgabe erhoben. Sie beträgt mittlerweile 35.6 Rappen pro Liter Heizöl und 19.2 Rappen pro m3 Erdgas. Das ist etwa vier Mal mehr als die Klimaabgabe, die in Frankreich zehntausende auf die Strassen treibt (dort wird sie aber auch auf Treibstoffen erhoben). Diese Lenkungsabgabe hat letztes Jahr über 1 Milliarde Franken (2017: 1'114 MCHF) aus den Taschen der BürgerInnen und Unternehmen gezogen. Zwei Drittel (2017: 718 MCHF) werden ihnen rückvergütet. Mit etwa 200 Millionen CHF wird die energetische Sanierung von Gebäuden subventioniert (einbezahlt vom Bund wurden 2017 292 MCHF). Zudem verschärfen die Kantone laufend ihre Anforderungen an die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden bei Bau- und Erneuerungsbewilligungen. Hinzu kommt noch eine ganze Reihe weiterer Massnahme. So wird der Kauf von neuen Autos, die mehr als 130 gCO2 /km ausstossen, unter Umständen bestraft; Importeure von Treibstoffen müssen die daraus erfolgenden Emissionen zum (kleinen) Teil kompensieren; in der Abfallwirtschaft wird der Treibhausgasausstoss gemindert; sogar die Landwirtschaft sucht Lösungen fürs Methan.

Es tut sich also etwas, weil die Bevölkerung und ihre Vertreter überzeugt sind, dass der Treibhausgasausstoss gesenkt werden muss. Diese Überzeugung beruht auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen.

Erste Massnahmen wurden schon 1990 eingeführt, im Rahmen des Energie 2000 Programms: ein Hauptziel des Programms war es, den Verbrauch von fossiler Energie bis 2000 auf der Höhe von 1990 zu stabilisieren und danach reduzieren. Dies aber nicht aus Sorge um das Klima, sondern um die Importabhängigkeit zu senken. Wäre das Klimapolitik, dann könnte man die Elektrifizierung der Eisenbahnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Ur-Klimapolitik anschauen. Richtige Klimapolitik treibt die Schweiz eigentlich erst seit der Unterschrift der Uno-Rahmenkonvention von 1992.

Damals glaubte man noch, der Klimawandel würde sich erst in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts bemerkbar machen. Es war also keine Reaktion auf Hitzesommer und schneearme Winter, bröckelnde Berge und Jahrhundertüberschwemmungen, sondern alleine das Vertrauen in die Wissenschaft, die gesagt hatte, solche Phänomene werden eintreten und wir können sie verhindern, wenn wir unseren Treibhausgasausstoss senken.

Ich könnte hier aufhören mit einem positiven Fazit: Ja, die Bevölkerung und die Politik hören auf die Wissenschaft, wenn sie vor gefährlichem Klimawandel warnt und überzeugend argumentiert. Bevölkerung und Politik richten sich danach, auch wenn es etwas kostet.

Aber eben, mir wurde eine Schnecke vor den Vortrag gesetzt.

Schnecke, weil doch recht spät reagiert wurde. 1992 tönt früh, aber der Treibhauseffekt und wie er durch unsere CO2-Emissionen angeheizt wird, dies weiss man schon seit dem 19. Jahrhundert. ProClim wurde 1988 gegründet. Ein richtiges Klimaschutzgesetz, das CO2 Gesetz, gibt es aber erst seit 2000 und die CO2 Abgabe erst seit 2008. Der Klimaschutz steht noch nicht einmal in der Bundesverfassung!

Was wurde bisher erreicht? Eine Stabilisierung der CO2-Emissionen trotz Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum. Immerhin.

Wenn man dies näher anschaut, dann sieht man, dass die Klimapolitik noch recht wenig bewirkt hat – die Stabilisierung ist steigenden Öl- und Gaspreisen zu verdanken, und Effizienzmassnahmen, die aus anderen Gründen getroffen wurden. Zum Beispiel in der Europäischen Autoindustrie.

Warum so wenig? Weil es eben etwas kostet… Und besonders, weil eine Branche ihr Einkommen verteidigt. Nach meinen inoffiziellen Schätzungen, fast vier Milliarden Franken.

Im Parlament sitzen Vertreter von Parteien und Kantonen. Sie fühlen sich dafür gewählt, um die Prioritäten ihrer Partei und ihres Kantons zu verteidigen. Einfaches Anschauungsbeispiel. Es hat nur zwei Parteien. Die eine erklärt sich als Vertreterin der Wirtschaft, die andere als Vertreterin des Klimas. Gehören der ersten mehr Parlamentarierinnen an als der zweiten, dann prägt sie die Klimapolitik: wirtschaftsfreundlich und nicht zufriedenstellend für die Umwelt. In unserer Demokratie ist das so OK. Unsere ParlamentarierInnen dürfen sogar ganz spezifische Interesse verteidigen – die Krankenkassen, die Autoimporteure, die Vögel und Schnecken. Solange die Stimmbürgerinnen dies bei der Wahl wissen könnten. Wählen sie mehr Wirtschafts- als KlimavertreterInnen, dann haben sie ihre Präferenz geäussert: mehr Wirtschaftswachstum, auch wenn es das Klima verändert.

Alle wissen woran es mangelt – nicht an Wissen über den Klimawandel, seine Ursachen und Folgen, sondern an Massnahmen. Massnahmen um den Verbrauch von fossiler Energie rapide zu senken und uns auf das veränderte Klima anzupassen. Niemand weiss das so gut wie die KlimawissenschaftlerInnen. Doch sie haben Hemmungen, nach diesen Massnahmen öffentlich zu rufen, und zwar doppelte Hemmungen – als WissenschaftlerInnen, weil viele von WissenschaftlerInnen erwarten, dass sie schön brav Wissenschaft produzieren und sich aus sozialen und politischen Debatten heraushalten; und als NaturwissenschaftlerInnen, weil die Massnahmen die es braucht in der Politik, dem Recht, der Wirtschaft, der Gesellschaft entschieden und umgesetzt werden müssen.

Wir sind auf der Titanic und der Kapitän hat auf Vollgas gesetzt, denn alle wollen so schnell wie möglich in Amerika ankommen. Wenn dabei noch ein Wachstumsrekord, pardon, Geschwindigkeitsrekord erzielt wird, umso besser. Die NaturwissenschaftlerInnen warnen, es hat Eisberge, denen man bei dieser Geschwindigkeit nicht ausweichen kann. Niemand hört ihnen zu, noch nie wurde ein so starkes Schiff von einem Eisberg gesenkt.

Was würden Sie auf der Titanic tun?

  • Resignieren und sich selber auf eine Kollision vorbereiten?
  • Weiter rufen, mit anderen Worten, bis die Gefahr verstanden wird?
  • Das Steuer an sich reissen, um die Passagiere gegen ihren Willen zu retten?
  • Weiter forschen, um die Gefahr noch besser vorauszusagen? Ob die Passagiere einer Verlangsamung der Titanic zustimmen, das hängt von sehr vielen Faktoren ab, sicher nicht von einer rationalen Abwägung von Kosten und Nutzen in perfekter Kenntnis beider, wenn dies überhaupt möglich wäre. Wer kann schon mit Wahrscheinlichkeiten umgehen?
  • Vielleicht besser aufzeigen, dass eine gedrosselte Fahrt auch Vorteile hat: es wird Treibstoff gespart; als Passagier geniesst man länger die Überfahrt.
  • Es ist vielleicht auch besser, weniger über Fakten und Zahlen zu sprechen, mehr über Werte: dass es lohnt, sich die Zeit zu nehmen, den Weg zu geniessen anstatt auf das Ziel zu streben; dass man an die anderen Passagiere denken sollte; oder sich überlegen, ob es die Geschwindigkeit für ein gutes Leben nötig ist.

Es braucht wohl ein bisschen von allem und es braucht verschiedene Ansätze für ein heterogenes Publikum, noch mehr in verschiedenen Kulturräumen und politischen Systemen. Zum Glück seid ihr NaturwissenschaftlerInnen nicht die einzigen, die das Klima verteidigen.

Was könnt ihr aber konkret tun, damit die Schweizer Klimapolitik ambitiöser wird?

  1. Es haben noch nicht alle verstanden, wie gefährlich der Weg ist, auf dem sie sich wie auf der Titanic treiben lassen. Eure erste Aufgabe als NaturwissenschaftlerInnen bleibt es, die Gefahren zu erkennen und immer wieder zu erklären.
  2. Die Schweizer Klimapolitik wäre ambitiöser, wenn mehr in der Wirtschaftspartei verstehen würden, dass die sture Verteidigung der fossilen Industrie dem Rest der Wirtschaft mittel und langfristig überproportional schadet. Ihr könnt die Gefahren für den Tourismus, die Bergregionen, die Landwirtschaft, die Wasserwirtschaft, die Infrastruktur, das Gesundheitswesen, usw. aufzeigen. Sowie die Chancen für die Cleantech-Branche. Ihr solltet dies sogar sofort tun und die WirtschaftsvertreterInnen im Parlament aus eurem Kanton anschreiben oder anrufen – denn diese Tage entscheidet das Parlament über das neue CO2 Gesetz.
  3. Die Schweizer Klimapolitik wäre auch ambitiöser, wenn die Bürgerinnen mehr KlimavertreterInnen wählen würden als WirtschaftsvertreterInnen. Ihr könnt wenigstens in eurem Umkreis für die Klimapartei werben, indem ihr aufzeigt, dass "Wirtschaftswachstum über alles" nicht lange haltbar ist.
  4. 50 öffentliche und private Unternehmen sind an der Quelle von 50% des industriellen Treibhausgasemissionen. Vielleicht könnt ihr beitragen, denen den Geldhahn für Investitionen zuzudrehen, z.B. über eure Bank, eure Pensionskasse.
  5. Und natürlich im Alltag euren Klimafussabdruck verkleinern.

Nicht aufgeben. Die Schnecke weiter anstacheln!